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Mitgemeint bedeutet nicht automatisch auch berücksichtigt

Von 12. April 2023Juni 29th, 2023Allgemein, Consulting

Geschlechtssensible Medizin: Die Herausforderungen einer auf Männer ausgelegten Medizin

Betrachtet man den Alltag einmal genauer, fällt auf, vieles ist für Männer gemacht und ignoriert dabei die Bedürfnisse von Frauen. Da oftmals auch innerhalb des wissenschaftlichen Bereichs keine geschlechtsdifferenzierten Daten erhoben werden, wird dies auch als „Gender Data Gap“ bezeichnet.1 Was im Alltag teils einfach störend ist, z.B. wenn für Männer- und Frauentoiletten gleich viel Platz kalkuliert wird, kann gefährlich werden, wenn es um Sicherheit geht.2 So erleiden Frauen bei Autounfällen 48 % häufiger mittelschwere Verletzungen und bis zu 71 % häufiger schwere Verletzungen.2 Der Grund ist einfach: Der Standard-Crashdummy ist männlich, 1,75 Meter groß und wiegt 78 Kilogramm. Sämtliche Sicherheitssysteme sind daher auf Erkenntnisse mit diesen Dummys ausgerichtet. Etwaige weibliche Dummys sind lediglich kleiner und leichter, ignorieren aber den anderen Körperbau und somit ebenfalls größtenteils die Bedürfnisse von Frauen.3

Noch gravierender wird das Problem, wenn man die Medizin betrachtet, dabei hat gerade Corona die Unterschiede zwischen Männern und Frauen noch einmal deutlich hervorgebracht: Während Frauen häufiger an Corona erkrankten, starben mehr Männer an der Infektion.4 Doch woran liegt das? Hierzu ist die Unterscheidung zwischen Gender und Geschlecht wichtig. Das Geschlecht ist biologisch, Gender hingegen das soziale Geschlecht der gesellschaftlich geprägten und individuell erlernten Geschlechterrolle. So erkrankten Frauen häufiger aufgrund ihrer sozialen Rolle („Gender“).5 Denn Frauen arbeiten häufiger in sozialen Berufen z.B. in der Pflege, Schule oder Kindergarten, in denen eine soziale Isolation nicht möglich war. Die höhere Sterblichkeit der Männer bestand hingegen aufgrund ihres Geschlechts, da der männliche Körper anfälliger für viele Viruserkrankungen ist.5

Auch abseits von Corona bestehen deutliche Unterschiede innerhalb der Medizin: Sei es bei Reaktionen auf Infektionen, hormonelle Unterschiede oder der Wirkung sowie Verstoffwechslung von Medikamenten.6 Ein Umstand, der durchaus bekannt ist, in der wissenschaftlichen Forschung dennoch überwiegend vernachlässigt wird. Auch in der Medizin gilt der Durchschnittspatient als männlich, 1,80 Meter groß und 75 Kilogramm schwer.2 Denn auch in klinischen Studien werden Frauen häufig noch ausgeschlossen aufgrund zyklusbedingter Hormonschwankungen, Wechseljahre und dem Schutz des ungeborenen und noch nichtexistierenden Lebens – selbst bei Krankheiten, welche überwiegend Frauen betreffen. Selbst Versuchstiere sind überwiegend männlich.7 Die an Männern gewonnenen Daten werden trotz der bestehenden Unterschiede 1:1 auf Frauen übertragen. Die Folge: Medikamente und Dosierungen, die in der klinischen Studie funktionierten, wirken teilweise nicht bei Frauen oder sind sogar gefährlich, wie im Beispiel eines Schlafmittels, welches zu vermehrten Autounfällen bei Frauen führte.7,8

Zudem sind manche Krankheiten bei Frauen schlichtweg weniger gut erforscht wie z.B. beim Herzinfarkt. Die Studien erfolgten überwiegend bei Männern, weswegen auch die männlichen Symptome mit einem Herzinfarkt assoziiert werden. Ausstrahlende Brustschmerzen, bei Männern ein klassisches Symptom, führt schnell zu einer Diagnostik hin zu einem Herzinfarkt. Doch Frauen haben oftmals anders Symptome, der Brustschmerz ist oft weniger stark ausgeprägt. Infolgedessen werden Frauen durchschnittlich später mit einem Herzinfarkt diagnostiziert, Minuten und Stunden, welche für die Genesung entscheidend sein können.9,10

Dass diese Problematik gleichwohl auch andersherum gravierende Auswirkungen haben kann, zeigt die Diagnose Depression. So werden Frauen häufiger mit einer Depression diagnostiziert, was zum einen dadurch erklärbar ist, dass Frauen generell eher einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen als Männer. Allerdings berücksichtigen die klassischen Fragebögen zur Erfassung einer Depression insbesondere Symptome, die klassisch bei Frauen vorkommen. Männer haben oftmals andere Symptome, die durch die Fragebögen nicht erfasst werden und es somit nicht zu einer Diagnose Depression kommt.8,11

Wie man sieht, können von einer geschlechtssensiblen Medizin alle profitieren. Innerhalb der letzten Jahre ist diesem Umstand mehr und mehr Aufmerksamkeit zuteilgeworden, so dass es mittlerweile die interdisziplinäre „Gender Medicine“ gibt, um die Versorgung für alle Patienten und Patientinnen passgenauer zu gestalten. Auch die EU hat hierauf reagiert und zum 31. Januar 2022 eine Verordnung erlassen, die eine repräsentative Geschlechter- und Altersgruppenverteilung in klinischen Studien einführt.12 Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, doch bis zu einem Schließen der „Gender Data Gap“ werden wohl noch Jahre vergehen.

Wenn Sie mehr über m:werk erfahren möchten, sprechen Sie uns gerne jederzeit an.

Unverbindliche Anfrage

1. Cosmos direkt: Gender Data Gap: Die Welt der Daten ist männlich; https://www.cosmosdirekt.de/magazin/frauensache/gender-data-gap/ (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
2. Welt: Die Welt, in der wir leben, ist von Männern für Männer gemacht; https://www.welt.de/iconist/iconista/article201288608/iPhone-Auto-Buero-Toilette-Die-Welt-in-der-wir-leben-ist-von-Maennern-fuer-Maenner-gemacht.html (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
3. Auto Motor Sport: Eva soll Autos für Frauen sicherer machen; https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/erster-weiblicher-crashtest-dummy-eva-astrid-linder-vti-schweden/ (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
4. Apotheken Umschau: Geschlechterunterschiede bei Covid-19; https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/infektionskrankheiten/coronavirus/covid-19-warum-es-maenner-haerter-trifft-724919.html (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
5. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Lexikon der Entwicklungspolitik; https://www.bmz.de/de/service/lexikon/gender-14414 (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
6. Barmer: Gendermedizin: Ungleichbehandlung ist gut für uns alle; https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/mensch/ungleichbehandlung/warum-wir-ungleichbehandlung-brauchen-1004582 (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
7. AOK Plus: Die Medizin muss weiblicher werden; https://www.aok.de/pk/cl/plus/top-navigation/presse/blog/artikel/die-medizin-muss-weiblicher-werden/ (Zuletzt abgerufen am 30.03.2023)
8. Ikk classic: Gendermedizin: Warum Frauen und Männer anders krank sind; https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/leben/gendermedizin (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
9. NDR: Herzinfarkt: Frauen haben andere Symptome; https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Herzinfarkt-Frauen-haben-andere-Symptome,frauenherzen100.html (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
10. Deutsche Herzstiftung: Herzinfarkt bei Frauen: Diese Symptome sollten Sie kennen!; https://www.herzstiftung.de/infos-zu-herzerkrankungen/herzinfarkt/anzeichen/herzinfarkt-frauen-symptome (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
11. News Medical Life Sciences: The Gender Gap in Mental Health; https://www.news-medical.net/health/The-Gender-Gap-in-Mental-Health.aspx (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)
12. PZ Pharmazeutische Zeitung: EU führt repräsentative Geschlechterverteilung ein; https://www.pharmazeutische-zeitung.de/eu-fuehrt-repraesentative-geschlechterverteilung-ein-127589/ (Zuletzt abgerufen am 07.03.2023)

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Dr. Jan-Niklas Salewski